Das Schreiben und ich
Alles begann mit einem Tagebuch in Taschenformat, das mein Bruder mir zu Weihnachten geschenkt hatte. Drei Tage vor meinem zehnten Geburtstag betrat ich überraschend einen neuen Kontinenten, den ich nie mehr verlassen sollte. Ich begann zu schreiben, erst Belangloses wie zu mir genommene Mahlzeiten oder zurückgelegte Wege, dann allmählich Entwürfe für Liebesbriefe, Schmähreden über zickige Freundinnen, detailgetreue Schilderungen von Pausenhofszenen und Tischgesprächen sowie therapeutisch anmutende Selbstgespräche. War ich denn auf einer einsamen Insel ausgesetzt worden, frage ich mich heute, wenn ich auf den halben Meter aneinandergereihter Tagebuchrücken von 1979 bis heute blicke.
Nun, ja und nein. Meine Kindheit war einerseits voller Trubel, andererseits auf eine zuverlässige Art einsam, wie es wahrscheinlich die meisten Kindheiten sind, würden sie nicht in einem verklärend-sentimentalen Licht erzählt. Mit dem Schreiben schlug ich vielem, was mir widerstrebte, ein Schnippchen, war in bester Gesellschaft mit den Figuren, die ich beschrieb, und Teil der Szenen, die ich mir ausmalte. Ein ganzes Heer von Wörtern diente mir rund um die Uhr, und ich gebot über sie wie eine gerechte, aber strenge Alleinherrscherin. Noch heute regiere ich unangefochten in meinen Tagebüchern, die wohl eher Monatsbücher heissen müssten, und halte fest, was ich vor dem Vergessen bewahren möchte.